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Gedenkort "Aktion-T4"

Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“- Morde // Berlin, DE // Wettbewerb November 2012

Die Aufgabe des Wettbewerbs bestand darin, am historischen Ort der Planungszentrale der berliner Tiergartenstraße 4, über die N.S. Krankenmorde und Zwangssterilisationen zu informieren.

Die Gewalt, die von der Tiergartenstraße 4 um 1940 ausging, war an diesem Ort nicht sichtbar. Sie verbarg sich hinter einer reich ornamentierten bürgerlichen Fassade. Sie verbarg sich in Akten, Gutachten und Verwaltungsabläufen. Sie verbarg sich in den Mitarbeitern der hier ansässigen ‚Zentraldienststelle’. Sie verhüllte sich in repräsentativer Harmlosigkeit.

T4 ist die Bezeichnung des Geschehens, das von diesem Ort koordiniert wurde. Dieses Geschehen griff auf die Lebenswege unterschiedlichster Menschen in verschiedensten Teilen Europas zu. Deren Abweichen von einer postulierten Norm wurde zu einer Schwäche erklärt. Der Wert dieser Menschen wurde anhand ökonomischer oder ideologischer Kriterien infrage gestellt. Schutz und Pflege dieser Frauen, Männer und Kinder wurden nach dieser Argu- mentation zu einer Belastung für die Gesellschaft, die als Rechtfertigung für den Mord an ihnen angesehen wurde.[/expand]

T4 ist eine Adresse. Diese Adresse gilt es kenntlich zu machen. Sie ist aus der Anonymität zu lösen und mit den hier verübten Verbrechen zu verbinden.

Von der Tiergartenstraße wird ein geneigter Weg aus weißem Farbasphalt auf das Grundstück durch die Wiesenfläche zum Standort der kriegszerstörten und abgebrochenen Villa geführt. Einseitig begleitet diesen Weg ein Handlauf, über dem Informationstafeln angeordnet sind. Auf narrativer Ebene wird hier zur Geschichte des Grundstücks und der mit ihm verbundenen Biographien vermittelt. QR-Codes auf diesen Tafeln führen zu vertiefenden Informationen um die Euthanasie-Verbrechen, die historische Dimension der mit ihnen verbundenen Denkmuster sowie zu aktuellen Diskussionen, die mit diesem Themenkreis verbunden sind.

Der Nordteil des historischen Gebäudegrundrisses wird in eine leicht eingesenkte Fläche aus weißem Farbasphalt um- gewertet, die diesen jedoch nicht dokumentarisch abbildet. Doch wird auf diese Weise wieder ein nach Innen gerichte- ter Raum an dieser Stelle konzipiert – eine Ahnung der abwesenden Innenräume der Adresse ‚T4’. Im früheren Eingangsbereich wird die 1989 geschaffene Gedenktafel in den Boden eingelassen. Am Ort der zerstörten Villa Tiergartenstraße 4 sollen acht Linden, Hainbuchen und Eichen aus dem Untergrund wachsen. Sie winden sich durch die Erdoberfläche und verbinden sich zu einem unregelmäßigen Hain. Diese aufwachsenden Gehölze sind auffällig. Ihre Eigenschaften liegen außerhalb der Norm. Sie haben Ungleichmäßigkeiten. Sie stimmen nicht mit den

konstruierten Richtwerten der Normierung für Baumschulware überein. Der kulturelle Stellenwert dieser Pflanzen ist höchst ambivalent. So werden sie aufgrund ihrer ‚abweichenden’ Eigenschaften aus Handelssortimenten gemeinhin ausgeschlossen. Zugleich genießen sie mit zunehmendem Alter sowie in Abhängigkeit vom kulturellen Kontext besondere Wertschätzung. Wegen der gleichen Eigenschaften wird ihnen nun Würde, gesteigerte Individualität und ein ästhetisch bereicherndes Potential zugesprochen.

Die Äste dieser Bäume werden gestützt. Diese bronzenen Krücken erhöhen ihre Statik. Sie unterstreichen ihre Eigen- art, doch verstärken sie sie mit der Zeit auch.

Diese Bäume können erzählen. Aus ihren Kronen dringen die Erzählungen über die Opfer. Wispernd. Berichtend. Sie erzählen Lebensgeschichten, deren Schicksal verwaltungstechnisch mit diesem Ort verbunden ist. Dazu kommen die aus Akten und Briefen zitierten Zeugnisse der Täter. Die bronzene Oberfläche der Stützen stellt einen Bezug zur Gedenktafel und zur Gestaltung der Philharmonie her. Bronze stellt ein würdigendes und haptisch attraktives Material dar. Als weitere Dimension des Berichtens werden in die Oberfläche der Stützen Auszüge aus den Biographien der Opfer eingeätzt.

An diesen Stützen sind pro Baum drei Sitze angebracht. Das Zuhören und Entziffern der Inschriften wird also zu einem kollektiven Prozess. Der Besucher des Gedenkortes wird dabei gestützt – durch einen Handlauf oder durch Sitzgelegenheiten – ebenso wie die Gehölze, die aus dem Inneren der T4-Zentale aufwachsen.

Bauherr: Land Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten // Zusammenarbeit: relais landschaftsarchitekten (Landscahftsarchitekten); Esther Shalev-Gerz (Künstler) // Fläche: 1 050 m² // Kosten: 500 000,00 € // Leistungen: Vorentwürf

 
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